Reisejournalistin Renate Freiling stellt ihre Reportagen, Fotos und Reiseberichte vor.

Sonntag, Juli 20, 2008

Fortbewegung im Berner Oberland


Immer rauf und runter – Mobil im Berner Oberland

Blühende Wiesen fliegen vorbei und die Sonne scheint mir ins Gesicht. Der Fahrtwind tut sein Übriges dazu, damit die Geschwindigkeit berauscht. Eilig schwebt das Flyer-Velo, auf dem ich sitze, über den Asphalt der Berner Oberland-Straßen dahin. Die etwa 17 Kilometer von Thun nach Spiez schafft das Gefährt mit Hilfe meiner Muskelkraft in 30 Minuten. Und in den nächsten drei Tagen klappere ich damit einige interessante Fleckchen dieser schönen Region ab.

Das Berner Oberland ist nicht nur winters für die Skiparadiese Gstaadt, Grindelwald und die über 4000m hohe Jungfrau-Region berühmt, es lockt auch im Sommer mit spannenden Sportarten. In der abwechslungsreichen Landschaft, die von weiten Tälern über große Seen bis hin zu steilen Berggipfeln reicht, werden Freizeitprofis erfinderisch. Mit einem Tretroller einen Berg hinunter fahren ist nur eines der Highlights, die auf dem Programm stehen.

Meine Ausgangsbasis liegt im ersten Single-Hotel der Schweiz, dem Hotel Eden. Hier sind Alleinreisende in der Überzahl, und werden nicht, wie oft in Familienhotels üblich, an Katzentischen platziert. Der Name ist Programm in dem 4-Sterne-Haus. „’Hotel Eden’ stand schon dran“, erzählt Lisbeth Mathys, die 71jährige Inhaberin des Hauses, „als ich

2004 zu dem verwaisten Gebäude kam. Und ich wusste sofort: Das ist es.“ Frau Mathys’ kleines Paradies. So fühle ich mich wörtlich wie im Garten Eden, als ich in der Grünanlage stehe. Eine 102 Jahre alte Libanon-Zeder, so alt wie das Haus, steht mitten darin – ein Baum, der Kraft gibt, wenn man ihn anfasst. Eine kurze Umarmung sollte erst mal reichen für meine am nächsten Tag bevorstehende Schlösser-Tour.

Nach einem ausgiebigen Frühstück und leichten Schwimmübungen im Panorama-Hallenbad schwinge ich mich auf das Flyer-Velo. Es verstärkt die Muskelkraft, so dass beim Beschleunigen ein Gefühl des Abhebens aufkommt. Doch zunächst ist das nicht nötig, es geht bergab. Das Spiezer Schloss liegt auf einem Hügel am Thunersee. Es ist eines von fünf privaten Schlössern, die am Thunersee liegen. Im Schlossmuseum ist die gesamte Geschichte nach zu verfolgen. Für Hungrige gibt es ein Restaurant, für Heiratswillige kann das ganze Schloss angemietet werden. Von einem kleinen Park aus habe ich einen traumhaften Blick auf den See, der still unter einem Schleier von Morgennebel daliegt. Nach einem kurzem Rundgang mache ich mich auf den Weg zum Anleger der Linienschiffe, die auf dem Thuner- und dem Brienzersee verkehren. Ich begebe mich mitsamt dem Velo auf ein Linienschiff der „Schifffahrt Berner Oberland“ in Richtung Thun, und steige nach halbstündiger Fahrt auf dem Sonnendeck am palmengesäumten Anleger von Schloss Oberhofen wieder aus. Maschinist Peter Wahl wünscht den aussteigenden Gästen noch eine schöne Reise. „Die meisten Passagiere sind Touristen“, wirft er mir noch zu. „Für eine Fahrt zur Arbeit gibt es ja auch schnellere Möglichkeiten als das Linienschiff“. Nach einem Schlossparkrundgang trägt mich das fliegende Fahrrad weiter zu einem Kurzbesuch von Schloss Hünegg und von dort aus nach Thun, wo ebenfalls ein Kastell – für mich lieber von außen - zu besichtigen ist. Schloss Schadau mit seinem Gastronomiemuseum und prachtvollem Restaurant ist der krönende Abschluss meiner Tour. Zurück erwartet mich eine langgezogene Steigung, auf der das Gefährt einmal zeigen kann, was es in sich hat. Doch über einer bestimmten Geschwindigkeit ist keine zusätzliche Beschleunigung mehr zu spüren. Trotz vollem Akku strampele ich mir die Seele aus dem Leib. Es ist halt nur ein Hilfsmotor, kein Antrieb.

Zurück im Eden empfangen mich die Hotel-Mitarbeiter als käme ich nach Hause. Nach einem ausgiebigen Saunabesuch geselle ich mich zur kleinen Runde, die sich um Lisbeth Mathys schart. Sie speist am liebsten mit ihren Gästen. „Auch Weihnachten und Silvester verbringe ich hier und denke mir immer wieder schöne Aktivitäten mit den Gästen aus.“ Das war das Stichwort. Meine nächste Aktivität für morgen ruft schon – ein Ausflug ins Simmental mit Haut- und Spaßprogramm.

Auf dem Flyer-Velo strampele ich gen Süden in Richtung Gstaad. Es geht lange bergauf, bevor ich endlich - nach 36 Kilometern – in Zweisimmen ankomme. Erschöpft nehme ich den Bus hinauf nach Sparenmoos. Nach einer kurzen Wanderung erreiche ich mein erstes Ziel, den Biohof Eggenalp, auf dem ich mich für ein hautregenerierendes Molkebad mit Aussicht angemeldet habe. Aus dem Kübel, in dem für vier Leute Platz wäre, sehe ich den Dampf schon von Weitem aufsteigen. Flugs der Kleider entledigt und einen Trank der Gastgeberin „Kräuterhexe Heidi“ genommen, sitze ich auch schon drin in der weißlichen Brühe. Eine Wohltat sondergleichen. „Hier ein Gläschen Kräutertee von selbstgepflückter Minze, das tut gut“, verkündet Heidi, die zu jeder Jahreszeit auf dem Berg Kräuter gegen jedes Wehwehchen sammelt. Nach 45 Minuten Wonne mit Blick auf die Obersimmentaler Bergwelt und einem Plausch mit Verkostung überwinde ich mich zu weiteren Taten. Nachdem ich Biokäse und –wurst im Rucksack verstaut habe, marschiere ich zum Berghotel Sparenmoos, das die sieben Kilometer lange Trottinet-Abfahrt als Sommerspaß anbietet. Die schon seit über 100 Jahren gebräuchlichen Tretroller sind mit guter Bereifung und Bremsanlage ausgerüstet. Die Benutzung ist einfach: Helm auf, draufgestellt, Hände an die Bremshebel und los. Trotzdem lauert die Gefahr hinter den Kurven durch entgegen kommenden Verkehr. Es geht stetig bergab, geschoben werden muss nicht. Ich lege mich in die Kurven, fahre sie von außen an, gehe in die Hocke. Die Beschleunigung ist phänomenal, ich erreiche sicher bis zu 40 km/h, denn bereits nach 15 Minuten bin ich unten. Zum Glück kam mir kein Auto entgegen. Denn eine Vollbremsung könnte schlimme Folgen haben – sagt mir meine Fantasie, als ich in Zweisimmen am Bahnhof voll mit Adrenalin ankomme. Dort stellt man das Vehikel einfach ab und setzt seine Reise fort. In meinem Falle die Fahrt mit dem Flyer-Velo. Auch das geht jetzt geschwind bergab zurück nach Spiez, wo ich den letzten Abend in Wellness allein genieße.

Am nächsten Morgen mache ich noch einen kurzen Abschiedsspaziergang am Thunersee, bevor ich mich wieder auf den drahtigen Pegasus schwinge. Heute möchte ich vom pyramidenförmigen, 2362 Meter hohen, Spiezer Hausberg Niesen das Panorama in Augenschein nehmen. Ich radle leichten Pedales hinauf zur Talstation der Niesenbahn im nahegelegenen Mülenen. Von dort bringt die fast 100 Jahre alte Standseilbahn in zwei Etappen einen Höhenunterschied von rund 1700 Metern unter sich. Langsam, und mit Quietsch- und Klappergeräuschen zieht das Seil die voll besetzte Kabine die Schienen hinauf. Bis zu 68% Steigung werden hier bewältigt, ich bin beeindruckt – und mir wird mulmig. Ist doch die Zugkraft, die das Seil hat, auch körperlich spürbar. Der Blick nach unten weckt in mir die Vorstellung einer Achterbahnfahrt. Auf der Bergstation und ein paar Meter weiter auf der Pyramidenspitze angekommen, ist die Aussicht atemberaubend. Doch schon nach kurzer Zeit ruft das Erlebnis der Bahnfahrt erneut. Der Blick nach unten weckte schon eben in mir die verlockende Vorstellung einer Achterbahnfahrt. Doch ganz vorn hinter dem Steuermann stehend, ist das Gefühl auch schon wieder vorbei. Denn schneller wird’s nicht. Das Seil bremst. Also juckelt der Waggon dem Tal entgegen, von wo aus ich mich auf den Heimweg mache. Wieder vorbei an blühenden Wiesen bis nach Spiez, wo ich mein Velo loswerde und mit der pünktlichen Schweizer Eisenbahn schnell am Züricher Flughafen bin.


copyrightRenateFreiling2008