Reisejournalistin Renate Freiling stellt ihre Reportagen, Fotos und Reiseberichte vor.

Montag, September 08, 2008

Raum und Zeit sind nur ein Gefühl

Ein Automuseum hebt Konventionen auf

Wo bin ich hier eigentlich? frage ich mich, leicht schwindelnd, und drehe mich um. Umgeben von wallenden Formen in schwarz-grau-weiß verliere ich gerade die Orientierung und das Raumgefühl. Dort steht der millionste goldene Käfer von 1955 und da hinten der Fiat Topolino aus dem Jahr 1948. Alles klar. Ich befinde mich also irgendwo in den 50er Jahren meiner Zeitreise durch die Räume des Automuseums „ZeitHaus“ in Wolfsburg.


Wenn ein Auto nicht mehr zum Fahren benutzt werden kann, ist es seinem Zweck enthoben, hat keine Daseinsberechtigung mehr. Es landet auf dem Schrottplatz, einem Autofriedhof - oder im Museum. Altersruhesitze für ausrangierte Fahrzeuge gibt es derer viele. Ob wild zugewachsene Wiesen, aus denen sich rostige Türme von Ersatzteillagern erheben, liebevoll dekorierte Garagen, die an ein Heimatmuseum erinnern, oder durchgestylte Fabriklofts, in denen Sammler stolz ihre Schätze aufreihen – der Phantasie zur Gestaltung solcher Orte sind keine Grenzen gesetzt.

Das ZeitHaus in der Autostadt des Volkswagen-Konzerns ist eines der modernsten deutschen Museen für Automobilgeschichte. Als einziges Hersteller-Museum der Republik präsentiert es auch markenfremde automobile Raritäten wie Fiat, Peugeot oder Benz. Ausschlaggebend für die Sammlung ist die Bedeutung der blechernen Zeitzeugen. Seit seiner Eröffnung im Jahr 2000 wurden die im ZeitHaus ausgestellten etwa 100 Meilensteine der Auto-Historie in ihren zeitgemäßen, authentischen Welten inszeniert. Die aktuelle Ausstellung, die am 11. März dieses Jahres eröffnet wurde, revolutioniert jedoch die bisher zu erlebende Zeitreise, die über Kopfsteinpflaster der 20er Jahre vorbei an Krämer-Läden der 50er bis an den Surfer-Strand der 70er Jahre führte. Die überholten Young- und Oldtimer werden jetzt zu Kunstobjekten und präsentieren sich im anspruchsvollen Gewand des zeitgenössischen österreichischen Künstlers Peter Kogler. Der triste Beigeschmack einer Endstation kommt erst gar nicht auf.


Auf den ersten Blick wirkt die beeindruckende Rundum-Wandgestaltung wie die Nachbildung einer leicht unruhig vor sich hin schwappenden Wasseroberfläche. Oder vielleicht das Schattenspiel wehender Tücher im Wind. Doch ist das nicht der Kotflügel eines Jaguar XK 120 da vorn? Und das da ein Käferdach? Und dort erkenne ich eine ausladende Chevrolet-Stoßstange. Allen Assoziationen gemein ist die Optik von Glanz und Reflektion. In der Tat hat sich Peter Kogler von Formen und Kurven aus dem Automobildesign nicht nur inspirieren lassen. „Ich habe die Formen am Computer bearbeitet und modifiziert,“ erklärt er. So greifen die geschwungenen, fließenden Linien und Flächen die Formen und Reflektionen hochglänzender Karosserien auf, ohne jedoch dabei aufdringlich zu wirken. „Die Autos als Repräsentanten technischer Entwicklung musste ich ja berücksichtigen“, so Kogler, der sich auch allgemein sehr für Technik interessiert. „Die schwarz-weiß-grauen Töne und der Vergrößerungsmaßstab waren wichtige Vorgaben, damit die Autos zur Geltung kommen“. Der Charakter des Werkes bildet einen adäquaten Hintergrund für die betagten Exponate. Mein Raumgefühl geht allerdings bei längerem Hinsehen auf die Wände auf angenehme Art und Weise verloren, daher das Schwindelgefühl und die leichten Orientierungsschwierigkeiten.

Wieder zielgerichtet auf die Inseln der ausgestellten Fahrzeuge lasse ich mich durch deren Gezeiten treiben. Jedes Auto für sich ist eine eigene Schöpfung und repräsentiert seine eigene Ära. Ein fast 100 Jahre alte Ford T steht erhaben und würdig auf seinem Platz. Alle Informationen, die er mir mitzuteilen hat, sind auf dem kleinen Monitor in seinem schlichten, schwarzen Podest zu finden: das Baujahr 1908, seine Geschichte, die technischen Daten und Fotos aus seiner Zeit. Er war ein besonders robustes Automobil, das schon zur Zeit des ersten Weltkrieges serienmäßig gebaut wurde. Also einer der ersten Meilensteine der Automobilgeschichte, teilt mir der kleine Monitor zu meinen Füßen mit. Doch die historischen und technischen Besonderheiten allein erheben den Ford noch nicht zum Kunstwerk. Das Drumherum, das Zusammenspiel von Wagen und Kulisse, spricht die Sinne an.


Peter Kogler hat in der Autostadt eine Atmosphäre der Unendlichkeit konstruiert, die seinem Ruf als Raumkünstler und Konstrukteur von Zwischenwelten gerecht wird. Er arbeitet bereits seit 1984 erfolgreich mit vielschichtigen graphischen Motiven als Rauminszenierungen. Dabei visualisiert und interpretiert Kogler die Räume und das Empfinden derselben völlig neu. „Ich habe die Gestaltung des ZeitHauses, wie viele andere Projekte auch, nach architektonischen Vorgaben konstruiert, am Computer gestaltet und das wird dann im Digital- oder Siebdruckverfahren realisiert“, beschreibt der Künstler seine Arbeit. So wandelt sich Architektur in virtuell endlos scheinende Orte, in denen der Betrachter sich verlieren kann. Röhren, Gehirne und Weltkugel sind nur einige der Motive, die Kogler für seine Kunstprojekte aufgreift. Hier im Zeithaus sind es fließende Bahnen und Flächen, die die Räumlichkeit und auch die Zeit aufzuheben scheinen. Das Kunstwerk Koglers nimmt das gesamte Zeithaus ein und den Besucher darin auf. „Die in der Zusammenführung von zeitgenössischer Kunst und klassischer Automobilität entstandene Ausstellungsform ermöglicht gerade durch die Konsequenz der Ausgestaltung des kompletten Gebäudes und die Qualität der Ausführung eine neue Sicht auf eine besonders bemerkenswerte Sammlung automobilhistorischer Meilensteine“, erläutert Dr. Maria Schneider, Kreativdirektorin der Autostadt, das Werk.


Ebenso wie der Ford stellt sich der Golf I auf seinem Podest als Meilenstein dar. Trotz der anderen Epoche, einem anderen Zeitgeist und anderer technischer Standards wird deutlich, dass das Exponat für sich spricht. Der Golf I löste den Käfer als Volksautomobil ab und läutete eine neue Ära ein, die der „Generation Golf“. Damit schlägt er eine Brücke zur Gegenwart, erinnert mich an jugendliche Abenteuer, und schließt so meine Reise durch Zeit und Raum ab.


Das ZeitHaus in der Autostadt ist eine Luxusvariante der letzten Stationen für betagte blecherne Alltagsgefährte, Raritäten und Prototypen. Nicht ausrangiert und auf dem Abstellgleis, sondern exponiert und auf dem Ausstellungspodest stehen die alten Vehikel noch ihren Mann. Die Daseinsberechtigungen der Ausstellungsstücke des ZeitHauses sind unangefochten. Ihre Funktionen als Transportmittel bestehen weiter – im Weitergeben von Informationen als Meilensteine der automobilen Geschichte.

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Text: Renate Freiling2008

Fotos: ZeitHaus/Axel Martens