Reisejournalistin Renate Freiling stellt ihre Reportagen, Fotos und Reiseberichte vor.

Freitag, Januar 19, 2007

Montafon: Grauviecher beim Wintersport


Landwirtschaft hat im Montafon eine lange Tradition. Obwohl viele Bewohner der Region vom Tourismus leben, kommt die Viehzucht nicht zu kurz. Bertram Rhomberg, Chef des ältesten Hotels Gargellens, des Hotels Madrisa, bekommt alles gut unter einen Hut. Seine "Grauviecher" wohnen direkt neben dem noblen Hotel.

Welt online, 6. März 2007

Grauviecher beim Wintersport
Landwirtschaft und Tourismus liegen in Gargellen eng beieinander

Morgens um neun im Hochmontafon: Schritte knirschen im Schnee, dann ein lautes Knarren der Tür, ein Lichtstrahl fällt herein. Gackern, ein kurzes Blöken und ein leises, langgezogenes „Muuhh“ raunt durch die graue Menge. Es gilt dem Gummistiefel und Businesshemd tragenden Bertram, 45 Jahre alt. Wie stets zu dieser Stunde, schlüpft er in den 200 Jahre alten Stall zu seinen tierischen Nachbarn. An die 25 Rindviecher, drei Schafe und ein paar Hühner warten bereits ungeduldig auf ihr Futter.

Zur gleichen Zeit an der Talstation der Schafbergbahn: Lautes Rasseln und Klappern, Stimmengewirr, ab und zu ein Klingeln wie von einer Schulglocke. Die kleine Maria, 8 Jahre alt, steigt in die Gondel, vor der sich unzählige Wintersportler mit ihren Skiern drängeln. Tapfer und bestens für die Skifahrt verpackt, begibt sie sich zum Skischul-Treffpunkt zur Bergstation. Hier trifft sie den Rest ihrer kleinen Rasselbande, zehn Stöpsel, die Skilaufen lernen möchten.

Bertram und Maria haben nur eins gemeinsam: Sie befinden sich zur gleichen Zeit am selben Ort: dem mit 1423m höchstgelegenen Ort des Montafons im österreichischen Vorarlberg – Gargellen. Bertram Rhomberg und seine Familie betreiben das 117 Jahre alte Hotel Madrisa, benannt nach dem gleichnamigen 2770m hohen Hausberg, mit eigener Rinderzucht. Maria aus Friedrichsdorf in Hessen verbringt ihren dritten Urlaub hier und absolviert einen Skikurs.

Doch auch wenn auf den ersten Blick zwei Welten aufeinander treffen: Die Verbindungen zwischen Tradition und Moderne, zwischen Landwirtschaft und Tourismus, sind in dieser österreichisch-schweizerischen Grenzregion im Laufe der Jahrhunderte natürlich gewachsen. Seit Ende des 19. Jahrhunderts haben die Bewohner hart gearbeitet, um in der rauen Bergregion Existenzen aufzubauen und sich zu bewähren. Sie bauten hoteleigene kleine Elektrizitätswerke und Lifte und entwickelten Viehzucht und Landwirtschaft weiter. Mit Erfolg.
Das romantische Dorf mit 110 menschlichen Einwohnern, etwa 20 Hunden, 48 Kühen, zeitweise 9 Haflinger-Pferden und ein paar Schafen liegt abgeschieden in einem Seitental oberhalb von St. Gallenkirch. Gargellen hat eine familiäre Atmosphäre, in der Tourismus und Urtümlichkeit miteinander harmonieren. Sein Flair lockt hauptsächlich Deutsche, Holländer und Engländer in die 1550 Gästebetten.
Bertram, ein sympathischer und trotz der vielen Arbeit entspannt wirkender Herr, krempelt die Ärmel runter, verlässt den Stall und atmet tief durch. „Gargellen bietet ähnliche klimatische Bedingungen wie Davos, das ja nicht weit von hier ist. Das hat der Gargellner Pater Widmer schon vor etwa 150 Jahren nachweislich festgestellt. Und legte damit einen Grundstein für den Sommertourismus“, erzählt der Chef des noblen Hauses, während er ein Abschleppseil an einem im Schnee steckenden Wagen eines Gastes befestigt und das Kommando zum Losfahren gibt. „1890 gab es bereits fünf ganzjährig bewohnte Häuser in Gargellen. Vorher wurden sie als Maisäße genutzt, einfache Unterkünfte also, die nur zeitweise während der sommerlichen Bergbewirtschaftung bewohnt wurden.“ Das entsprach der 3-Stufen-Wirtschaft. Im Winter war das Vieh in den Ställen im Tal, im Sommer auf der Alp und dazwischen auf dem Maisäß. Bertram Rhomberg hält sein „Grauvieh“ gleich neben dem Hotel Madrisa, das mit seinem imposanten Jugendstiltrakt aus dem Jahre direkt neben der Dorfkirche steht. Früher gab es im Montafon das „Braunvieh“ - gesunde, von den nahrhaften Bergkräutern gut genährte Kühe und Rinder. Davon gibt es nicht mehr viele, die meisten wurden durch zusätzliche Befruchtung mit einem amerikanischen Samenimport namens „Elvis“ überzüchtet. Bertram hat die kleinen Tiroler Rinder, leicht abfällig „Schmucker“ genannt. Weibliche Viecher leben bei den Rhombergs pflegeleicht durch Mutterkuhhaltung – die Kälber saugen die Milch ab, das spart das Melken. „Die Rinder werden biologisch gehalten und für die Küche des Hotels geschlachtet“, erklärt Bertram im Davoneilen und ist in Gedanken schon wieder beim Hotelbetrieb.
Währenddessen auf dem Schafberg: „Und jetzt alle mal winken!“ ruft Kesy, Maria’s Skilehrer. Langsam den Arm hebend rutschen Maria und die anderen Knirpse dem hochgewachsenen Leittier über die sonnige Piste hinterher. Fünf Tage dauert der Kurs und Maria ist als jüngste Teilnehmerin unter den besten. „Das macht Spaß! Und Freunde hab’ ich hier auch schon gefunden.“ Von 10h bis 15h sind die Kleinen bei einem der 42 Skilehrer der Ski & Snowboardschule Gargellen gut aufgehoben. Mittags besuchen sie eine der vier urigen Hütten des Gebietes. Danach folgt die zweite Runde auf den breiten Pisten. „Und jetzt machen wir ein Flugzeug!“ Kesy schwebt voran, er ist hier aufgewachsen und „schon per Kaiserschnitt mit Skiern auf die Welt gekommen“, meint er. „Da lag die Karriere als Skilehrer einfach nahe. Und während wir mit den Kids unterwegs sind, machen die Eltern richtig Urlaub.“
Die erste Skischule wurde im Jahr 1923 gegründet. So konnte der Wintertourismus Einzug halten. Bertram Rhomberg’s Großmutter ließ 1948 den ersten Schlepplift gleich hinter dem Hotel errichten. Kurz darauf folgte der Ein-Sessel-Lift, der noch bis 1965 gute Dienste verrichtete. Heute bringt eine moderne Seilbahn die Urlauber hinauf und die Schafbergbahnen können bis zu 9000 Besucher stündlich befördern. Neben den 36 Pistenkilometern geben Wander- und Tourenskiwege der Bergregion eine einzigartige touristische Vielfalt. Sowohl von Klosters als auch von Gargellen aus werden 2- und 3-Tages-Touren rund um die Madrisa angeboten.
Mittlerweile ist es Abend geworden. Die kleine Maria sitzt bei ihren Eltern am Tisch, mampft Spaghetti und freut sich auf das morgige Abschlussrennen an ihrem letzten Urlaubstag. Sicher kommt sie unter sie ersten Drei des elfköpfigen Kurses.
Bertram steht derweil am Herd. Die Madrisa-Bar füllt sich mit Stammgästen aller Altersklassen, die teilweise schon seit Jahrzehnten kommen. Die Rhombergs haben alle Hände voll zu tun, bis spät in der Nacht auch der letzte Gast endlich keinen Durst mehr hat.
copyrights: Renate Freiling2007

Infos:
Anreise:
Aus Düsseldorf oder Köln mit dem Autozug nach Lindau oder aus Hamburg oder Berlin nach Innsbruck. Dann noch ca. 2 Std. Autofahrt. Routen und Kartenmaterial: ADAC, Tel. 01805 10 11 12. www.adac.de
DBAutozug: Tel. 01805 24 12 24 (12ct./Min) www.dbautozug.de
Informationen, Tourenbuchungen und Unterkunft:
Gargellen Tourismus, Tel. +43 (0)5557-6303, Fax +43 (0)5557-6690, email: info@gargellen.at, www.gargellen.at
Montafon Tourismus, Tel. +43 (0)5556-722 530, Fax +43 (0)5556-74 856, email : info@montafon.at, www.montafon.at
Von der schweizerischen Seite: Klosters Tourismus, Tel. +41 (0)81 410 20 20, Fax +41 (0)81 410 20 10, www.klosters.ch oder Schweiz Tourismus, Tel. 00800 100 200 30 (gratis), www.myswitzerland.com
Hotel Madrisa. Jugendstil-Hotel mit mondänem Charakter. ÜN/Fr. ab . Tel. +43 (0)5557-6331. www.madrisahotel.com
Landal Green Park. Appartments bis 6 Personen. Tel. +43.(0)5557.20050 www.landal.at
Skisport:
Verleih im Hotel Madrisa oder Pure Mountain Equipment, Bergbahnen Talstation Gargellen: Komplettausrüstung ab ca. 129 €. www.puremountain.at
Skipass AlpenSzene Montafon (62 Bergbahnen, 222 Pistenkilometer): 6 Tage Nebensaison Erw. 156,50 €, Kinder 96,50 €
Ski- & Snowboardschule, Tel. +43 (0)5557-6401, email: skischule@gargellen.at