Reisejournalistin Renate Freiling stellt ihre Reportagen, Fotos und Reiseberichte vor.

Freitag, November 10, 2006

Kaltern: Überirdisch - unterirdisch.

Im Juni 2006 fand das erste Weinakademie in Kaltern zum Thema "Die Zukunft des Genusses" statt. Nicht nur Ulrich Kienzle, sondern noch andere Vertreter der Presse waren - so wie ich - dabei. Die Reportage wurde in der Ausgabe 3 des Magazins "Potsdam Life" veröffentlicht.



Unterirdisch – überirdisch.
Kontraste in der Weinregion um den Kalterer See in Südtirol.


„Manincor“, sagt Michael Graf Goëss-Enzenberg und zeigt auf das Familienwappen an der Hauswand des alten Ansitzes. „Heißt soviel wie ‚Hand aufs Herz’“, übersetzt der 45-Jährige den Schriftzug im Hauswappen. In roter Jeans und kariertem Jackett steht der Graf vor der beeindruckenden Kulisse seines Weingutes. Links hinter ihm das fast 400 Jahre alte Haus der Familie, rechts der Eingang zu 3000 Quadratmetern großer unterirdischer Weinproduktion. Ein moderner Neubau aus Beton, ganz dezent unter dem Weinberg versteckt. Mit einem Hauch von Stolz in den Augen lässt Goëss-Enzenberg seinen Blick über die breite Einfahrt des Anwesens schweifen. Es ist mit einer Anbaufläche von 48 ha und einer Jahresproduktion von 150.000 Flaschen das größte Weingut Südtirols, das ausschließlich selbstgezüchtete Trauben verwendet. Tradition und Moderne, Qualität und Quantität sollen auf dem Weingut Manincor Hand in Hand gehen, lautet die Philosophie des altehrwürdigen Hauses – Hand aufs Herz..

Die Leidenschaft für edle Tropfen hat Graf Michael indes seinem Patenonkel, Georg Graf Enzenberg, zu verdanken. Aufgewachsen in Kärnten, der Wahlheimat seiner Mutter, wird er mit 18 Jahren von deren Bruder adoptiert, um später auf dem Sitz derer von Enzenberg in Kaltern das Erbe der Familie antreten. Da Graf Georg keine eigenen Nachfahren hat, möchte er den Familienbesitz in guten Händen wissen. Mit Blick auf die neue Heimat studiert Graf Goëss-Enzenberg in Geisenheim Weinanbau und Önologie, geht für ein Jahr nach Kalifornien und kommt 1987 nach Südtirol. Nur vier Jahre später beginnt der neue Herr auf „Manincor“ mit der Umstellung eines der bislang größten Traubenlieferanten Südtirols zum selbständigen Weingut. 2001 beauftragt Graf Goëss-Enzenberg zudem den Kalterer Architekten Walter Angonese mit dem Bau des neuen Weinkellers, der im April 2004 fertig gestellt wird. Rund sieben Millionen Euro kostete der Sichtbetonbau mit Ausstattung. Auf drei unterirdischen Etagen befinden sich moderne Pressen, Gärbehälter, Edelstahltanks, Abfüllanlagen und Lagerhallen. Trotz der technischen Ausstattung erfolgt die Weinverarbeitung im natürlichen Gefälle, mittels Schwerkraft. Der ganze Keller ist auf die Nutzung von natürlichen Ressourcen ausgerichtet, so dass für Temperatur und Luftfeuchtigkeit keine maschinellen Anlagen benötigt werden. Zu den Rebsorten, die hier zur weiteren Verarbeitung eintreffen, gehören unter anderem Cabernet Sauvignon, Merlot und Chardonnay. „Wir verarbeiten die meisten Trauben zu hochwertigen, eleganten Cuvées, die typisch heimischen Sorten jedoch zu Sortenweinen wie Kalterersee und Lagrein“, erläutert der Hausherr. Bestmögliche Qualität haben sich Graf Goëss-Enzenberg und seine mittlerweile 35 Mitarbeiter bereits vor rund zehn Jahren auf die Fahne geschrieben. Terroir - das Zusammenspiel von Klima, Boden, Trauben und dem Gespür des Winzers - ist der Begriff, um den sich alles dreht. Ein hoher Anspruch, dem der ehrgeizige und fleißige Winzer der Philosophie des Hauses gerecht werden will. „Denn Manincor’s Erbe verpflichtet zu sein, bedeutet Tradition im Zeitgeist zu begreifen und zu entwickeln“, erklärt der Graf. Dann lässt er sich höflich entschuldigen. Nach einem 16-Stunden-Tag ist es Zeit für ein entspannendes Bad im wärmsten aller Badeseen im Alpenraum – dem Kalterer See, der den einheimischen Trauben ihren Namen gibt.


Tatsächlich hat die Gegend südlich von Bozen zwischen der Mendel (1.363m) und dem Mitterberg (661m) als Urlaubsregion weit mehr zu bieten als Rebstöcke und alte Weinkeller. Das Klima erinnert ans nahe Mittelmeer. Der See wird besegelt, besurft, durchpaddelt, obwohl die Größe schnell erreichte Ziele vorgibt. Er ist nicht einmal zwei Kilometer lang. Dennoch begleiten die Wassersportler stets gute Winde, so dass regelmäßig Segelregatten und Surfwettbewerbe stattfinden und der ehemalige Surf-Weltmeister Klaus Maran im Hotel „Gretl am See“ eine Surfschule etabliert hat. Auch Angeln ist äußerst beliebt, der dicht von Hechten, Zandern, Schleien uns Aalen bevölkerte See verspricht schnelle Erfolgserlebnisse. Sein Ufer ist zudem nur auf einer Seite bebaut – mit zwei Hotels und dem neuen öffentlichen Schwimmbad, die zur Qualitätsoffensive „wein.kaltern“ gehören.


Insgesamt 19 Vertreter aus Weinbau, Tourismus und öffentlichem Leben haben sich unter der Marke mit dem Punkt vor rund fünf Jahren zusammengeschlossen und Qualitätsmaßstäbe formuliert, die dem Weindorf ein Erlebnisprofil auf hohem Niveau geben sollen. Namhafte Architekten wie Hermann Czech und Walter Angonese arbeiten seitdem an der Verbindung von moderner Architektur und traditionellen Gegebenheiten. So entstanden auf dem Weingut Manincor beispielsweise der beeindruckende Weinkeller aus Sichtbeton, auf dem Gelände der Kellerei Kaltern ein WeinCenter mit Erlebnischarakter und mit dem „PUNKT“, Anfang des 20. Jahrhunderts ein Gemischtwarenladen mit Apfelverkauf nach Russland, am Marktplatz ein neu gestaltetes Weinhaus mit gehobener Traditionsküche. Ebenfalls in neuem, futuristisch anmutenden Design eröffnete im Mai dieses Jahres das Seebad mit einem Pool in viereinhalb Metern über dem Seespiegel. Wie ein roter Faden zieht sich der rote Punkt durch die Landschaft und verweist den Betrachter immer wieder auf bemerkenswerte Details. So sind entlang des wein.weges Schwellen mit den Bezeichnungen der Weinlagen in den Boden eingelassen. An den Ruheplätzen für Wanderer verweisen in Tischplatten eingelassene Bronzetafeln auf Historie und Weinsorten. Der schmale Weg über die Hügel des Rotwein-Anbaugebietes, wenige hundert Meter vom Gut Manincor entfernt, mündet in einer Sackgasse. Hier liegt versteckt der Bärentalerhof der Familie Morandell.


Dort begibt sich Dominikus Morandell, 68, gerade an sein unterirdisches Lebenswerk. Wie an jedem Tag seit 1976 karrt er ein paar Kubikmeter Erde aus seinem Weinberg heraus. Bis heute hat sich der Winzer Gewölbegänge in einer Länge von 80 m ausgebuddelt. „Aber immer erst nach Feierabend!“ betont der etwas schüchterne ältere Herr und stößt erneut kraftvoll den Spaten ins Erdreich. „Die Höhle ist mein privates Hobby. Ich habe Spaß daran, Stein auf Stein zu setzen und mein Lebenswerk zu schaffen. Bei dieser Arbeit habe ich außerdem die beste Entspannung. Unter Tage vergesse ich die Welt da draußen“, verrät der schüchterne Kalterer. „Der Keller eignet sich prima für kleine Familienfeiern, aber mehr Trubel möchte ich nicht haben“. Dominikus lebt schon immer an, auf und in diesem Berg. Sein Sohn Georg hat als ausgebildeter Kellermeister den Weinanbau über dem handgegrabenen Stollen übernommen, seine Frau kümmert sich um die Zimmervermietung. Verarbeitet werden die gebietstypischen Rebsorten Lagrein, Kalterersee und Gewürztraminer. Das Morandell’sche Anbaugebiet bietet mit 3 ha genügend Weinstöcken Platz, um 25.000 Flaschen jährlich zu abzufüllen. Auf das große Geschäft kommt es dem Bauern Morandell dabei nicht an, sondern auf sorgfältige Arbeit und ein gutes Ergebnis. Weder die technischen noch die landwirtschaftlichen oder personellen Möglichkeiten des Weinanbaus sind auch nur annähernd vergleichbar mit denen des Gutes Manincor, es sind zwei verschiedene Welten.

Dennoch sind beide Höfe Mitglieder des Verbundes wein.kaltern. Dominikus Morandell und Michael Graf Goëss-Enzenberg haben beide Interesse daran, zum weiteren Erfolg der Tourismus- und Wein-Region um den Kalterer See beizutragen. So verstehen sie sich nicht als Konkurrenten, sondern als sich ergänzende und Abwechslung bietende Partner. Jeder hat seine eigene Geschichte und seine eigene Philosophie, doch sie fühlen sich der Region und der Tradition verbunden.
Gemeinsam mit den anderen Mitgliedern von wein.kaltern sitzen die beiden Winzer nun zur Besprechung der weiteren Arbeit auf der Terrasse des Hotels Seegarten bei einem Glas Kalterersee. Einem der 105 Südtiroler Weine, die die Karte anpreist. Aus wessen Keller der Wein dabei stammt, scheint keine Rolle zu spielen. „Mmmh – ein überirdischer Tropfen“, findet Graf Goëss-Enzenberg.

Weingut Manincor:
www.manincor.com, Weingut Manincor, St. Josef am See 4, 39052 Kaltern, Tel. +39 0471 960 230, Fax +39 0471 960 204, email: info@manincor.com
Vertrieb im Raum Berlin/Potsdam: www.paasburg.de, Paasburg’s, Fidicinstr. 3, 10965 Berlin, Tel. 030 611 018 38. Fax 030 611 018 48, email: info@paasburg.de

Bärentalerhof:
Bärentalerhof, St. Josef am See 36, 39052 Kaltern, Anfragen zur Besichtigung und Weinverkauf: Tel. +39 0471 960250

wein.kaltern:
Kontakt: www.wein.kaltern.com, wein.kaltern Gen. MbH, Marktplatz 8, 39052 Kaltern, Tel. +39 0471 965 410, Fax +39 0471 963 469, email : info@wein.kaltern.com

Hotel Seegarten:
Kontakt: www.seegarten.it, Hotel-Restaurant Seegarten, Fam. Morandell, Kalterer See 17, 39052 Kaltern, Tel. +39 0471 960 260, Fax +39 0471 960 066, email: info@seegarten.it
Übernachtung/Frühstück ab 57 € p.P.

Anreise:
z. B. Autoreisezug nach Bozen, ab/bis Berlin Wannsee, 2x pro Woche, Information unter www.dbautoreisezug.de


copyrrights Text und Fotos Renate Freiling2006