Reisejournalistin Renate Freiling stellt ihre Reportagen, Fotos und Reiseberichte vor.

Mittwoch, Januar 31, 2007

Gargellen/Klosters: Ein Wintertag

Braunschweiger Zeitung, 27. Januar 2007

Ein Wintertag wie jeder andere

Zeit spielt keine Rolle in Gargellen – aber sie erzählt Geschichten

Donnerstag, 7.30h: Hoch oben im Montafon, wo die Straße endet und sich dahinter nur noch Berge und Natur erstrecken, öffnet Friedrich Juen, 39 Jahre alt, die knarrende Tür zu seinem Stall. Wie stets zu dieser Stunde, schlüpft er rüber zu seinen pelzigen Nachbarn. Neun Rindviecher warten bereits ungeduldig auf ihr Futter.

9.30h an der Talstation der Schafbergbahn: Die kleine Maria, 8 Jahre alt, steigt in die Gondel, vor der sich unzählige Wintersportler mit ihren Skiern drängeln. Tapfer und bestens für die Skifahrt verpackt, begibt sie sich zum Skischul-Tre

ffpunkt zur Bergstation. Hier trifft sie den Rest ihrer kleinen Rasselbande, zehn Stöpsel, die Skilaufen lernen möchten.

Friedrich und Maria haben eins gemeinsam: Sie befinden sich zur gleichen Zeit am gleichen Ort: dem mit 1423m höchstgelegenen Dorf des Montafons im österreichischen Vorarlberg – Gargellen. Friedrich und seine Familie bewohnen eines der ältesten Häuser im Gargellener Ortsteil Vergalden und betreiben eine Rinderzucht. Maria aus Friedrichsdorf in Hessen verbringt ihren dritten Urlaub hier und absolviert einen Skikurs.

Doch auch wenn auf den ersten Blick zwei Welten aufeinander treffen: Die Verbindungen zwischen Tradition und Moderne, zwischen Landwirtschaft und Tourismus, sind in dieser österreichisch-schweizerischen Grenzregion im Laufe der Jahrhunderte natürlich gewachsen. Seit Ende des 19. Jahrhunderts haben die Bewohner hart daran gearbeitet, um in der rauen Bergregion Existenzen aufzubauen und sich zu bewähren. Sie haben hoteleigene kleine Elektrizitätswerke und Lifte gebaut und Viehzucht und Landwirtschaft weiter entwickelt. Mit Erfolg.

Das romantische Dorf mit 110 menschlichen Einwohnern, etwa 20 Hunden, 48 Kühen, zeitweise 9 Haflinger-Pferden und ein paar Schafen und Hühnern liegt abgeschieden in einem Seitental oberhalb von St. Gallenkirch, ganz im Westen Österreichs. Gargellen hat eine Atmosphäre, in der Tourismus und Authentizität miteinander harmonieren. Sein Flair lockt hauptsächlich Deutsche, Holländer und Engländer in die 1550 Gästebetten.

Friedrich, dessen Hauptbeschäftigung im Winter der Pistendienst für die Gargellener Bergbahnen ist, krempelt die Ärmel runter, verlässt den Stall und atmet tief durch. „Gargellen hat ein Klima wie Davos, das ja nicht weit von hier ist. Das hat der Gargellner Pater Widmer vor etwa 150 Jahren anhand seiner Aufzeichnungen bewiesen. Das war ein erster Grundstein für den Tourismus“, erzählt der „Dorf-Historiker“, wie Friedrich gerne genannt wird. „1890 gab es schon fünf ganzjährig bewohnte Häuser in Gargellen. Vorher wurden sie nur als Maisäße genutzt, einfache Unterkünfte, die zeitweise während der sommerlichen Bergbewirtschaftung bewohnt wurden.“ Bei den Kühen der Juens wird auch heute noch die sogenannte 3-Stufen-Wirtschaft betrieben. Friedrich’s Bruder hat im Tal einen Bauernhof, auf dem ein Teil seiner Kühen überwintert. „Im Sommer gehen sie oben auf die Alm, um das gesunde Mutterkraut zu bekommen“, sagt Friedrich noch, bevor er sich verabschiedet und sich auf den Weg zu seinem Arbeitsplatz, der Piste, antritt.

12 Uhr auf dem Schafberg: „Und jetzt alle mal winken!“ ruft Kesy, Maria’s Skilehrer. Langsam den Arm hebend rutscht die behelmte Maria den Orgelpfeifen über den schneebedeckten Hügel hinterher. Fünf Tage dauert der Kurs und Maria ist als jüngste Teilnehmerin unter den besten. „Das macht Spaß! Und Freunde hab’ ich hier auch schon gefunden.“ Von 10h bis 15h sind die Kleinen bei den 42 Skilehrern der Ski & Snowboardschule Gargellen gut aufgehoben. Mittags besuchen sie eine der vier urigen Hütten des 36 Pistenkilometer umfassenden Gebietes. Die überwiegend leichten bis mittelschweren Pisten sind breit und sonnig. „Und jetzt machen wir ein Flugzeug!“ Kesy schwebt voran, er ist hier aufgewachsen und „schon per Kaiserschnitt mit Skiern auf die Welt gekommen“, erzählt er. „Da lag die Karriere als Skilehrer einfach nahe. Und während wir mit den Kids unterwegs sind, machen die Eltern mal so richtig Urlaub.“

Die Mittagspause verbringt Friedrich heute in der gemütlichen Obwaldhütte. Hier sitzen auch die Skischüler. „Die erste Skischule gab’s schon 1923, 1948 den ersten Lift“, berichtet Kesy. Fremdenverkehr wurde bereits um 1610 in Aufzeichnungen erwähnt, und zwar in Friedrichs Haus, der Herberge „Zum weißen Kreuz“. „Mein Haus war eine Station für Reisende, die das Schlappiner Joch ins Schweizer Prättigau überquerten. Güterverkehr herrschte zu allen Zeiten, ob Handel mit Vieh oder Schmuggel von Zigaretten.“ Die Region zwischen Gargellen auf der österreichischen und St. Antönien und Klosters auf der schweizerischen Seite war nach den Kriegen besonders belebt. „Wein, Zucker und Tabak wurden nach Österreich gebracht, Sensen in die Schweiz, und viele arme Leute konnten sich so etwas hinzu verdienen“, weiß Friedrich zu berichten, dessen legendärer Onkel Meinrad im 2. Weltkrieg sogar Menschen in die Schweiz brachte. Heute sind diese Pfade beliebte Wander- und Tourenskiwege, die der Bergregion eine einzigartige touristische Vielfalt geben. Sowohl von Klosters als auch von Gargellen aus kann man die Madrisa-Rundtour buchen, auf der man in zwei oder auch drei Tagen das Bergmassiv umrundet und auf der jeweils anderen Seite übernachtet. Dabei werden herrliche Panoramen und Tiefschneeabfahrten geboten.

Nach einem sonnigen Nachmittag auf der Piste ist es Abend geworden. Die kleine Maria sitzt am Tisch, mampft Spaghetti und freut sich auf das morgige Abschlussrennen an ihrem letzten Urlaubstag. Sicher kommt sie unter sie ersten Drei des elfköpfigen Kurses. „Und bald, im Sommer, sagt der Kesy, soll es hier einen Schmuggler-Pfad geben, da freu’ ich mich schon drauf.“

Friedrich geht noch einmal in den Stall, um nach dem Rechten zu sehen. Alle Kühe sind gut beieinander. Man meint, sie freuen sich ebenfalls auf den Sommer, den sie mit ihren Kollegen aus dem Tal oben auf der saftigen Almwiese verbringen dürfen.

Text: Renate Freiling

Infos:

Anreise:

Aus Hildesheim mit dem Autozug nach München. Dann noch ca. 3 Std. Autofahrt. Routen und Kartenmaterial: ADAC, Tel. 01805 10 11 12. www.adac.de

DBAutozug:Tel. 01805 24 12 24 (12ct./Min) www.dbautozug.de

Informationen, Tourenbuchungen und Unterkunft:

Gargellen Tourismus, Tel. +43 (0)5557-6303, Fax +43 (0)5557-6690, email: info@gargellen.at, www.gargellen.at

Montafon Tourismus, Tel. +43 (0)5556-722 530, Fax +43 (0)5556-74 856, email : info@montafon.at, www.montafon.at

Von der schweizerischen Seite: Klosters Tourismus, Tel. +41 (0)81 410 20 20, Fax +41 (0)81 410 20 10, www.klosters.ch

Schneeschuhwandern: Gudrun Turner, Tel. +41 (0)81 332 10 96, Email: gudrun@naturerlebnisse.ch, www.naturerlebnisse.ch

Skisport:

Verleih Pure Mountain Equipment, Bergbahnen Talstation Gargellen: Komplettausrüstung ab ca. 129 €. www.puremountain.at

Skipass AlpenSzene Montafon (62 Bergbahnen, 222 Pistenkilometer): 6 Tage Nebensaison Erw. 156,50 €, Kinder 96,50 €